Die Absurdität des Bösen

GBE-Theater demonstriert mit glanzvoller Premiere politische und menschliche Abgründe

Nur wenige der Besucherinnen und Besucher im voll besetzten Forum des Gymnasiums Bad Essen konnten sich an die Inszenierung des Theaterensembles der Schule im Jahr 2004 erinnern oder sie hatten diesem Ereignis erst gar nicht beigewohnt: Bertolt Brechts Stück „Was kostet das Eisen?“ sowie „Picknick im Felde“ des spanischen Autors Fernando Arrabal hatten bereits seinerzeit ob ihrer bedrückenden Kriegsthematik und ihrer dramaturgischen Ausgestaltung für Aufsehen gesorgt, und sie taten dies genau 20 Jahre später wieder. Angesichts gegenwärtiger gewaltsamer Konflikte auf dem gesamten Globus sowie im Besonderen auf europäischem Boden, angesichts einer deutlich wahrnehmbaren und durchaus beängstigenden Bedrohungsrhetorik von außen sowie im Inneren wünschte Regisseur Alexander Wichers dem Publikum zu Beginn ganz bewusst nicht eine „gute Unterhaltung“, sondern einen „gelungenen Abend“. Und diesen bekamen die Besucherinnen und Besucher dann auch: Die elf jungen Schauspielerinnen und Schauspieler zeigten eine bravouröse Leistung und wurden erst nach minutenlangem Applaus von der Bühne entlassen.

Wir schreiben das Jahr 1938. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Der Eisenhändler Svendson, in seiner von existenziellen Nöten, kurzzeitiger Ausgelassenheit und menschlicher Verantwortung beeinflussten Gefühlswelt grandios verkörpert von Devin Kuhlmann, bekommt in seinem kargen Laden Besuch von seinen Nachbarn mit den bewusst gewählten Namen Frau Österreicher und Frau Tschek, ausdrucksstark gespielt von Marielle Sälter und Alexandra Weißheim, die wenig später einer gangsterähnlichen Figur mit dem beliebig-nebulösen Namen „Die Dingsda“ zum Opfer fallen. Die strategisch angewandte und letztlich gefährlich-demaskierende Kombination aus Verführung, Relativierung, Opferhaltung, schonungsloser Bedrohung und Gewaltanwendung – schlicht: das Böse – bringt Annamaria Spiegel eindrucksvoll aufs Parkett und lässt das Publikum das eine oder andere Mal erschaudern. Nicht nur der von NS-Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg ist nun gedanklich präsent; aktuelle bewusst inszenierte populistische Manöver und die beängstigende Rhetorik im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zeigen schonungslos die Wiederkehr politischer und menschlicher Abgründe auf. Ihre große Sorge um den nachbarschaftlichen Frieden rund um den Eisenwarenladen bringen Herr Britt (Laurenz Vernekohl) und Frau Gall (Fiona Böttger) zum Ausdruck. Elegant, redegewandt, weitsichtig, aber letztlich erfolglos versuchen die Figuren, die die Staaten Großbritannien und Frankreich verkörpern, Svendson zu überzeugen, ihrem Friedensbund beizutreten. Dass sein Eisen den Rohstoff für die zerstörerische Kriegsmaschinerie liefert, ist Svendson nicht bewusst. Ganz im Brecht’schen Sinne sorgt das Gesehene nicht nur in der folgenden Pause, sondern auch im Nachgang des Theaterabends für jede Menge Gesprächsstoff.

Ein groteskes Bild bietet sich dem Publikum zu Beginn des zweiten Teils des Theaterabends: Soldat Zapo (Noah Pascal Beckmann) harrt alleine und gelangweilt in einem Schützengraben aus, der plötzlich einsetzende Fliegeralarm zeigt die akute Bedrohung, die Kommandantur befiehlt, die Stellung zu halten, Verstärkung oder Veränderungen der Lage sind nicht in Sicht. In diese Szenerie dringen zur Verblüffung des Soldaten, aber auch des gesamten Publikums die Eltern Zapos (Jessica Uhlmann und Michael Faist) ein. Durch ihre in Mimik, Gestik und Intonation bestechende Leistung gelingt es beiden, die vom Autor Arrabal komisch-absurd angelegte Situation an der Front herauszustellen, der die Beteiligten – einem erneuten Fliegeralarm zum Trotz – mit kindlicher Naivität begegnen. Diese Absurdität findet in Anlehnung an den Titel in einem Picknickgelage, in das auch der zwischenzeitlich überwältigte Gefangene (Keanu Helm) involviert ist, ihren Höhepunkt. Die Sanitäterinnen (Marie Warhus und Fiona Böttger), die sich anfangs in sarkastischer Weise über ihre fehlende Arbeit beklagen, bleiben beim abrupten tödlichen Ende allerdings auch arbeitslos: ein grandios inszenierter Schockmoment, der das Publikum sekundenschnell wieder zurück auf den Boden der traurigen Tatsachen holt. Eines steht fest: Das pazifistische Zitat „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“ wird nicht nur durch die dramaturgische Anlage der Antikriegs-Parabel, sondern auch durch die schauspielerische Glanzleistung des Ensembles eindrucksvoll mit Leben gefüllt.

Neben den Akteuren auf der Bühne galt der begeisterte Applaus des Premierenpublikums auch dem Technikteam, das mit punktgenau platzierten Licht- und Toneffekten beiden Inszenierungen zu ihrem Glanz verholfen hatte. Besonders hochleben ließen sowohl das Publikum als auch das Ensemble des GBE-Theaters die beiden Regisseure Alexander Wichers und Corinna Maifeld, denen es zum wiederholten Mal gelungen ist, ihr Herzblut für das Theater auf die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler des Gymnasiums Bad Essen zu übertragen.

Weitere Aufführungen des GBE-Theaters finden am 06.03., 08.03. und 09.03.2024, jeweils um 19:30 Uhr im großen Forum des Gymnasiums Bad Essen statt. Aufgrund des begrenzten Platzkontingents werden im Vorfeld bei freiem Eintritt im Sekretariat der Schule Platzkarten ausgegeben. Aufgrund der hohen Produktionskosten der Stücke „Was kostet das Eisen?“ und „Picknick im Felde“ freut sich das GBE-Theater über eine Spende.